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Wörterscharen peitschen wie Reiterstämme – das ist Ungarisch

Ungarn besteht aus mehr als Paprika, Palinka und Plattensee. Auch die ungarische Sprache ist ungeheuer variantenreich. Ungeheuer ist dabei nicht unbedingt falsche Assoziation.

Wer als Österreicher mit dem Gedanken spielt, Ungarisch zu lernen, sollte wissen, dass er in eine ganz andere Sprachfamilie eintaucht. Gern wird immer darauf verwiesen, dass man für das Erlernen der ungarischen Sprache mit allen Konventionen brechen muss, die man nicht einmal kannte. Alles, was uns aus der indogermanischen Sprachfamilie bekannt ist, gilt im Ungarischen nicht.

Die Identität der Ungarn wird auch durch ihre äußerst eigene Sprache geprägt, die so gar nichts mit den umgebenden slawischen Sprachen zu tun hat und die sich daraus entwickelt hat, dass man weit, weit in den Osten gewandert ist – so wie kaum ein Volk Europas. Aber gerade ihre Eigentümlichkeit macht sie so attraktiv für ambitionierte Sprachenlerner. Wer hier durchsteigt und irgendwann in Budapest am Flussufer der Pest seine Palatschinken in Originalsprache bestellt, kann richtig stolz auf sich sein. Schließlich taucht das Ungarische auf vielen Highscore-Listen der Sprachen auf, was die Schwierigkeit angeht, es zu erlernen.

Es geht immer um Leben und Tod

Fragt man die Ungarn, was ihre Sprache ausmacht, wird man unterschiedliche Antworten bekommen. Oft hört man, dass es sich um eine temperamentvolle Sprache handelt. Die Menschen sind sehr stolz auf ihre Sprache. Wer ungarisch spricht, klingt für den Außenstehenden oft so, als rege er sich auf, sei emotional und voller Leidenschaft. Was glauben Sie, wie es einem geht, wenn man „igazságtalanságunkkal“ („mit der Ungerechtigkeit leben“) sagt?

Ungarisch ist nicht unbedingt laut, aber irgendwie geht es immer um Leben und Tod, so glaubt man. Oft klingt es so, als sei der Sprecher etwas eingeschnappt, manchmal frustriert oder sogar böse auf etwas. Vielleicht kommt dieses Gerücht auch nur von Leuten, die nur kurz zu Besuch waren und gar nicht genau durchdringen können, was die Sprache ausmacht oder mit den Sitten und Gebräuchen der Magyaren, so ein anderes Wort für die Einwohner Ungarns, wenig vertraut sind.

Endungen werden angehängt

Viele Theorien wird man auch erhalten, was die Herkunft der Sprache betrifft. Als relativ etabliert gilt die Sprachverwandtschaft mit dem Finnischen, dem Lappländischen und einigen weitgehend vergessener Sprachen in Sibirien. Manche verweisen aber auch auf das Baskische, das eine Besonderheit mit der ungarischen Sprache teilt: die Eigenschaft, manche werden Manie sagen, möglichst zahlreiche Anhängsel ans Ende eines Wortes zu hängen, um dadurch viel zu sagen. Aber falls man nun annehmen sollte, dass der Ungar den Finnen versteht, ist das so richtig, wie man als hochdeutsch parlierender Niedersachse einen waschechten Vorarlberger versteht.

Verwandtschaft mit dem Japanischen?

So ziemlich jeder ungarische Sprachfreund hat weitere Erklärungen parat und kann einem im typischen Singsang erläutern, warum seine Muttersprache nun exakt ihren Ursprung im Hebräischen, Sumerischen oder auch Japanischen hat. Immerhin bedeutet „gut“ in Ungarn „jó“ und im Japanischen „joi“. Nur Zufall? Wie dem auch sei, es empfiehlt sich, nicht alles so ernst zu nehmen, entscheidend ist ohnehin das, was beim Lernen jeder Sprache gilt: reden, reden, reden – und Sie werden bei diesem Thema sehr lange Gespräche führen können. Falls Sie dies mit genügend Palinka verbinden, werden Sie die Sprache nicht einmal verstehen oder gar über ein paar Sätze hinaus sprechen müssen. Was Sie definitiv erkennen werden, ist die Tatsache, dass so ziemlich jeder ungarischer Muttersprachler seinen Akzent im Ausland nie vollständig ablegen wird, mindestens seine Sprachmelodie wird erhalten bleiben.

Immer die erste Silbe betonen

Erster Expertentipp, den Sie beherzigen sollten: Betonen Sie einfach alles auf der ersten Silbe, im Ungarisch-Kurs erfahren Sie dann relativ schnell, warum Sie da nichts falsch machen können. Wenn Sie dann so weit sind, zu verstehen, warum Wörter im Ungarischen gleich mehrere Fälle annehmen können, was im Deutschen unmöglich ist, werden Sie sicher sein, dass es toll war, sich für einen Ungarisch-Kurs anzumelden.

Ungarn schlossen sich Reiterstämmen an

Geschichtlich lässt sich die finnougrische Sprachfamilie gut belegen: Um zirka 1000 v. Chr. machten sich die Magyaren auf, ihr angestammtes Siedlungsgebiet östlich des Urals zu verlassen und schlossen sich Nomaden bzw. Reiterstämmen im südlichen Russland an, die heute so schöne Namen wie „Wolgabulgaren“ tragen. Mit den frühtürkischen Stämmen zogen sie durch die Lande, behielten ihre sprachliche Identität aber weitgehend, wenn man auch ein paar Eigenschaften übernahm, wie zum Beispiel das Anhängen von Silben.

Seit diesem Zeitpunkt verknüpfen sich daher nicht nur die Ungarn selbst gerne mit den Hunnen, manche sind sich auch sicher, von ihnen abzustammen. Gehen Sie einfach bei Ihrer nächsten Party in Szeged auf die Suche nach einem Attila – Sie können verpanschten Palinka darauf nehmen, dass Sie einen finden.

Einflüsse aus der Habsburger Monarchie

Manchmal gelangt man auf den Holzweg, dass uns das Ungarische doch viel näher ist als angenommen: Das machen zum Beispiel die vielen Lehnwörter, die leicht abgewandelt den Grundwortschatz prägen. Cel ist Ziel, masiroz bedeutet marschieren, zsemle Semmel. Es gibt sogar im übertragenen Sinne genutzte Wörter, die man sowohl im Deutschen als auch Ungarischen verwendet wie „Jemand schneidet auf“, also schneiden in der Bedeutung des Zerteilens als auch im Sinne von übertrieben vortäuschen, also aufschneiden.

Aber auch hier gilt: Für den eingefleischten Ungarn war natürlich das Ungarische der Ursprung, von dem das Deutsche abgekupfert hat. Dass Wissenschaftler gerne darauf verweisen, dass viele deutsche Wörter von den Ungarn erst entlehnt und dann hungarisiert wurden, ist dann schon zweitrangig. Übrigens stammt dieser Einfluss auf die Sprache aus der Herrschaft der Habsburger bis Anfang des 20. Jahrhunderts.

Auch englische Lehnwörter

Neuerdings findet man übrigens viele Begriffe, die – aus dem Englischen übernommen – uns ebenso vertraut klingen: szkenner (Scanner) oder lizing (Leasing). Manche Worte werden ganz übernommen (retro) und natürlich mit der typischen Sprachmelodie versehen, die man hier nur schwer beschreiben kann, die aber schnell vertraut klingt.

Wenn Sie nun glauben, dass Sie fürs Ungarisch lernen gerüstet sind, auch wenn Sie das längste ungarische Wort folyamatellenorzésiügyosztályveze­tohelyettesképesítésvizsgálat (es hat irgendwas mit einer Kontrolle im ungarischen Parlament zu tun) nicht aussprechen können. Sok sikert! Falls es nichts wird, kann man sich immer trösten. Relativ schnell wird gerade beim Ungarischen klar, wie eine Sprache aufgebaut ist, die sich vom Deutschen unterscheidet. Und schon dafür könnte es sich lohnen.

Titelbild: lithian/stock.adobe.com

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